Rückblick 2013
Klinikum Offenbach – Intensivstation
Ich war auf dem Weg ins Jenseits. Ich hatte keine Schmerzen mehr, nahm nur vernebelt die Umwelt um mich herum wahr und wie durch ganz dicke Watte das Gespräch an meinem Krankenbett.
„Mit diesen Werten würden wir beide hier nicht mehr stehen.“
Blutdruck und anderes waren im Keller, einzig der Puls raste in nie dagewesenen Regionen, hat für einen gewissen „Ausgleich“ gesorgt, mich am Leben erhalten. Zwei Wochen haben die Ärzte, mit meinem Körper zusammen, um mich gekämpft. Seltsamerweise hatte ich keine Angst vor dem Tod, der neben mir am Bett stand. Ich war mit meinem Leben im Reinen und was noch offen, schon immer offen war, wollte ich im nächsten Leben von Beginn an angehen. Aber jemand anderes hatte etwas dagegen. Mein Körper im Verbund mit der Seele haben mich in wachen Momenten wissen lassen, daß die Zeit noch nicht gekommen ist, ich noch nicht gehen kann: „Da ist noch was offen…“
Die Frau im Mann
Nach zwei Wochen kam ich in den 5. Stock des Klinikums um wieder wortwörtlich auf die Beine zu kommen. Ohne Gehhilfe war eine Fortbewegung nicht möglich. Nach vier Wochen folgte die Reha in der Klink Rhönblick in Bad Soden-Salmünster. In all dieser Zeit habe ich über Dinge nachgedacht, die ich sonst immer weggewischt habe. Mein Spiegelbild hat mir Geschichten aufgezeigt, wo ich nur zu dem Schluss kommen konnte, dass es Zeit wird, die Handbremse zu lösen, das anzugehen, was im Kopf ständig herumgeistert. Es war niemand mehr da, dem ich zuliebe einiges hätte unterdrücken müssen (aus falscher Verantwortung/Liebe). Doch ginge das überhaupt? Bin ich nicht im falschen Körper? Noch wusste niemand, wie es um mich bestellt war, was da am hochkochen ist. Den Stempel „schwul“ hingegen hatte ich schon immer, obwohl alles anders war/ist. Aber lieber schwul, als gar nicht geil (Hessische Lebensweisheit).
Es hat weitere zwei Jahre Jahre gedauert, bis der Entschluss in mir gereift war, die Frau in mir den Körper zu geben, der sie dann als Frau auszeichnet. Aber erst mit den Therapiestunden gebar die Frau wirklich in mir. Ich musste erst mal lernen zu reden, mein Innerste nach außen einer mir fremden Person aufzeigen. Das hat Zeit gekostet und viel Geduld bei meiner Therapeutin. Es war weder für sie, noch für mich ein leichtes Unterfangen. Vor zwei-drei Monaten sagte sie: „Jetzt sind sie angekommen.“ Auch dazu beigetragen hat ein Wechsel der Wohngegend. Die Transformation funktioniert nicht mit bösen Geistern im Rücken. Der Geist muss frei sein, die Seele sich für das was vor einem liegt, öffnen können. Und vor allem darf man seinem Körper nicht ständig etwas unter die Nase halten, zu was er nichts kann. Auch eine Erkenntnis aus den Jahren des Zwiegesprächs.
Eine Liebeserklärung
Ein Körper besteht mehr als nur aus den Geschlechtsmerkmalen. Er hat auch eine Seele. Mein Körper hat für mich gekämpft, mich am Leben erhalten, als der Geist, der ja gerne für das Geschlecht herangezogen wird, schon längst in Richtung Jenseits unterwegs war. Heute läuft er wieder mit beiden Beinen durch die Landschaft, um die mich manche Frau beneidet. Vom Hintern mal ganz abgesehen. Die Haare wachsen fleißig zum Bob heran, einzig das Bäuchlein … aber das ist auch ok. Mein Körper hat seit meiner Geburt einiges erdulden, ertragen müssen. Er hat meinen Charakter geprägt und mich auch wissen lassen, wann des Guten zu viel ist. Er gehört zu mir und ich liebe ihn. Auch mit dem männlichen Geschlechtsmerkmal zwischen den Beinen.
Wenn man mit sich, seiner Seele und mit dem Körper im Reinen ist, dann ist der Weg für die Hormontherapie gut vorbestellt. Meine Frauenärztin hat kürzlich gemeint: „Wenn sie kommen, sie haben nie etwas…“ (keine Nebenwirkungen, Depressionen u.a.)
Im falschen Körper
Ob Spiegel, Stern oder die FAZ aus Frankfurt, wenn es um Transsexualität, einer Transidentität geht, ist der falsche Körper die Speerspitze in jedem Artikel. Eine rühmliche Ausnahme, die mir untergekommen ist, ist ein Artikel aus der Süddeutschen mit Lara B.
In einer anderen Zeit war von einem falschen Körper nicht die Rede, denn den gab es nicht. Und was nicht ist, kann auch nicht herbeigeredet werden. Als Junge hat man ein Junge zu sein. Etwas anderes ist man nun mal nicht. So muß man das Beste daraus machen. In dieser Zeit war das Umfeld schlichtweg eine Katastrophe für zartbesaitete Seelen, die anders unterwegs waren. Ob Schule, Kirche, Hort, es war ein täglicher Spießrutenlauf, den viele heute auch noch erleben. Nur wenige Erwachsene haben geahnt, dass bei den Kindern etwas anders ist und schützend die Hand über sie gehalten. Ich hatte Glück. Ich war zwar im Kinderheim, aber da konnte ICH sein, so wie ich bin. Ohne gesellschaftliche Zwänge wie ein Junge zu sein hat. Wieder in Frankfurt im Elternhaus: Ein Jahr später war ich ein Straßenkind, mit allen negativen Begleiterscheinungen. Es folgte das Jugendheim. Mit 15 verließ ich quasi das Elternhaus. Trotzdem ist aus mir, dem schwer erziehbaren Heimkind, was geworden.
Das gleiche Szenario in die heutige Zeit gesetzt mit dem Wissen, da geht was, ich würde mit 15 Jahren dem Trans-Ident-Zirkel erzählen, daß ich ein Mädchen im falschen Körper bin.
Die sexuelle Identität
Aber mit 15 wusste ich nicht mal um die sexuelle Vielfalt. Woher auch? Es gab kein Internet. Und was ist schwul? Keine Ahnung. Was ist ein Transgender? Das ist was ganz nebulöses von der NASA, was heute hinter der Andromeda-Galaxie anzutreffen ist. Ich konnte unvoreingenommen meine Sexualität entdecken. Sex mit Jungs war nichts böses, mit Mädchen auch nicht. Schön und erschöpfend ist es mit beiden. Das sieht natürlich heute bei den 15-jährigen anders aus. Da ist die „schwule Sau“ schon in der Grundschule anzutreffen. Meine sexuelle Welt war im gewissen Sinne weiß, nicht festgeschrieben. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich bin, seit der Sex etwas größer im Kopf geschrieben wird, pansexuell. Ich kann für Menschen aller Geschlechtsidentitäten sexuelle oder romantische Gefühle empfinden. Das war schon immer so, nur als ich 15 Jahre alt war, gab es nur zwei Geschlechter. Dann kam die erste Travestiebegegnung…
Wenn nun heute ein 15-jähriges Mädchen von sich gibt, sie sei ein Junge, das Dissen ihrer Umwelt anführt, weil sie sich wie ein Junge gibt, was von „das alles geht mit auf den Keks“ erzählt, dann gibt das zu denken. Die Geschichte von dem Mädchen erzählt aber auch, daß die Gesellschaft das weitaus größere Übel ist, als die herbeigezerrte Phrase vom falschen Körper. Jetzt wird ihre Pubertät gestoppt, damit die Brust nicht wächst.
Dem „falschen Körper“ ein Schnippchen schlagen
Es gibt natürlich die Fälle, wo Transmenschen sich ritzen, die Suizidgedanken jeden Morgen mit der Sonne aufgehen. Bei diesen Menschen liegt noch mehr im argen und ihre Todessehnsüchte kann man nicht nur an den falschen Geschlechtsidentitätsmerkmalen festmachen. Hier braucht es ganz viel Seelenpflaster. Diese Fälle stellen nicht die Mehrheit der Transmenschen dar. Viele, wie ich, warten den richtigen Zeitpunkt ab, versuchen ihr Leben auch ohne Frau sein zu können, so gut es geht zu meistern, obwohl die Sehnsucht nach der Frau im Mann nie schläft. Auch sind es nicht wenige, die sich zwischen ihrer Transidentität und der Familie entscheiden müssen. Beides geht dann nicht. Das ist ganz harter Stoff. Erfreulich der steigende Anteil an jungen Transmenschen, wo der Rückhalt von Freunden und der Familie gegeben ist. Hier ist der Trans*-Boden gut vorbestellt, was auch ein Resultat der Öffentlichkeitsarbeit der verschiedenen Trans*-Gruppen ist.
Geschlechtsangleichende Maßnahmen
Bei Trans* läuft das Sein auf folgende geschlechtsangleichende Maßnahmen hinaus: Hormonbehandlung, Epilation, Brustamputation und Totaloperation. Hier haben es Transmänner wesentlich einfacher als Mann „durchzukommen“, wie ein Mann als Transfrau. Die Hände verraten die Transfrauen, ebenso ein ausgeprägter Adamsapfel und auch der muskulöse Körperbau lässt sich nur schlecht verstecken. Transmänner können ihr gebärfreudiges Becken hinter nicht ganz so engen Hosen unsichtbar machen, wenn sie nicht gerade fülliger Figur sind. Ihr Hintern wackelt dennoch ganz nett im Wind. Das kriegen sie nicht weg.
Die Stimme dem wahren Geschlecht anzupassen, ist für beide Transidentitäten anfangs eine enorme Herausforderung. Beim Transmann lässt sich die Stimme mit den Hormonen dem Geschlecht angleichen, bei einer Transfrau geht das nicht. Hier gilt: Entweder eine lange Zeit mit Stimmübungen zum gewünschten Ergebnis kommen (Logopädie) oder den nicht ganz ungefährlichen Schritt der Operation wagen.
Natürlich könnte ich als Transfrau mir ein paar Rippen brechen lassen, dann würde das mit der Taille, dem weiblichen Hüftschwung auch klappen. Aber diese Maßnahme ist nicht im Hinterkopf gespeichert, kommt somit auch nicht in Betracht. Ich glaube auch, dass mir mein Körper das richtig Übel nehmen würde. Hier müssen eben die Laufübungen, ohne tuntig zu wirken, kleine Wunder vollbringen.
Das Akzeptieren und das Wissen, dass auch mit den geschlechtsangleichenden Maßnahmen ein Ausbruch aus dem geglaubten falschen Körper nicht möglich ist, hat den Vorteil, daß die Psyche auf einer ganz anderen Ebene mit dem gegebenen Körper und den Angleichungen umgeht. Ich habe nun kleine Brüste, die noch ein Wachstumsweg vor sich haben, was mich als Transfrau auch stolz macht. Aber deswegen ist der Körper immer noch der, der mir auf den Weg mitgegeben wurde. Und er wird jetzt die Frau prägen.
Hilary Duff:
Diesen September werde ich 30 Jahre und mein Körper ist gesund und bringt mich überall hin, wo ich möchte. Mädchen, seid stolz auf das, was ihr habt, und verschwendet eure Zeit nicht damit, euch zu wünschen anders, besser und makellos zu sein. (Glamour)
Ein bisschen Glück im Trans*leben
Letztendlich braucht es nicht viel, damit die Blüte namens Frau aufgeht. Äußerliche Anpassungen erledigen die Hormone, und was in der Hose ist, geht niemanden was an. Hier und da bin ich schon voll als Frau akzeptiert, obwohl keine Körbchengröße C mit einhergeht, der gerichtliche Segen noch aussteht. Bei einigen dauert es noch, besonders bei jenen die mich als Mann kennen. Manche müssen es auch erst verarbeiten. Sie haben aber alle Zeit der Welt. Und wer nicht will, der hat.
Natürlich gehört auch Glück zum Trans*werden dazu. Meine Therapeutin in Offenbach war und ist ein Glücksgriff, und meine Frauenärztin einfach nur etwas zum nicht hergeben wollen, hat erst mal mit den vielen „Hormongeschichten“ aufräumen müssen (Märchen aus Transgendekreisen).
Im Rhein-Main-Gebiet haben wir gute Möglichkeiten, allerdings sind auch viele Stellen einfach überlaufen. Ein Therapieplatz zu bekommen ist oft nicht einfach, schon gar nicht, wenn man aus ländlichen Regionen wie den Odenwald kommt. Selbst in Frankfurt sind Wartezeiten von weit mehr als einem Vierteljahr normal, wenn überhaupt ein Platz frei ist. Ob sich das mit der Anpassung des TSG ändert, sei dahingestellt. Ich für meinen Teil bin froh, dass die Therapie eine Vorgabe war. Sie hat mir viel mehr gegeben, als Anfangs angenommen und ich bin mir sicher, ich wäre als Frau nicht dort wo ich heute bin.
Die Gutachten sind meines Erachtens nur Geldmacherei, denn kein Gutachter kann in eins, zwei Sitzungen so tief in die Seele schauen, um die Frau im Mann oder den Mann in der Frau auszumachen. Trotz ihrer knapp bemessenen Zeit können sie sehr wohl Aufschneidereien durchschauen. Wenn ich sage ich bin eine Frau, dann müssen sie das erst einmal so hinnehmen und versuchen sich davon ein Bild zu machen. Meine Therapeutin könnte tief schauen. Sie weiß mehr über mich, als alle mir vertrauten Menschen zusammen. Aber sie darf nicht. Mit meinen beiden Gutachterinnen, die zudem in ihrer kurzen Zeit ein Vertrauensverhältnis aufbauten, hatte ich wieder Glück gehabt. Überall eitler Sonnenschein.
Im Osten der Republik hingegen sieht die Trans*Welt schon ganz anders aus. Dort steht der Staatswille über dem TS-Gesetz. (Nachtrag 04.06.2017)
Schlusswort
Wünschen würde ich mir, dass der Körper bei Transmenschen nicht so medial dramatisierend in den Vordergrund gestellt wird, wenn denn Trans* in der Presse mit seinem falschen Körper eine Lücke füllen muß. Die Geschichten die sich dabei die schreibende Zünfte aus den Fingern saugen, sind schon recht abenteuerlich. Und die sexuelle Ausrichtung kann doch nur dann eine Rolle spielen, wenn wer was im Schilde führt, oder nicht? Wenn nicht, warum dann die Frage ob schwul, lesbisch oder bi? Es gibt auch noch polysexuell…. und asexuell. cu
Kleine Auswahl an Links zum Thema:
Hormonbehandlung MzF
Transsexuellengesetz
Forderung: Menschenrechtsorientierte Reform des Transsexuellenrechts
Bundesvereinigung Trans*
Beitragsbild: Alexander Krivitskiy / Unsplash
Nachtrag: Zitat von Hilary Duff (08.08.2017)