Weibliche Gelassenheit

Weibliche Gelassenheit

Es gibt den Spruch: Lieber Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Das Ganze läuft unter „Gelassenheitsgebet“ und ist vom Theologen Reinhold Niebuhr. Es bleibt natürlich nicht bei dieser einen Zeile, es folgt neben der Zeile der Gelassenheit noch die Zeile für den Mut und die Weisheit.

Die weibliche Gelassenheit

Dass ein Theologe der Welt dieses „Stoßgebet“ reichte, liegt vielleicht an der Erkenntnis, dass Mann oft testosterongesteuert das Zeitgeschehen bestimmt. Nun brauchen wir nicht so weit in die Geschichte der Geburt des Gebetes zurückzugehen, sondern können im heutigen Jetzt verweilen. Vettel vs. Hamilton ist z. B. die medienwirksame Variante. Im Alltag sieht das ein wenig anders aus. Hier im Straßenverkehr ist ein Testosteron-Ausbruch am Wochenende – kommt dem eines Vulkanausbruchs gleich – öfters auszumachen. Mehr als einem lieb ist. Phallus geschwängerte Vehikels sind dann dank fehlendes Ordnungspersonal (Stadtpolizei) bis weit in die Nacht unterwegs.

Mittlerweile rege ich mich darüber nicht mehr auf. Die Gründe liegen in den weiblichen Hormonen verpackt.

Ein Leben mit weiblichen Hormonen

Seit gut einem Jahr nehme ich ärztlich kontrolliert weibliche Hormone (Östrogene) zu mir. Das bedeutet, dass im Gegenzug versucht wird, das männliche Hormon Testosteron möglichst gen Null zu senken, sonst kann es zu schwerwiegenden Problemen kommen. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber bedingt durch eine andere Lebensgeschichte ging es bei mir schneller als normal üblich. Dennoch waren eine Zeitlang zwei Hormonwelten in mir unterwegs. Die letzte Blutuntersuchung brachte zutage: Östrogenspiegel gut, sogar wieder ein bisschen weniger als der Richtwert (pendelt immer, mal mehr, mal weniger) und der Testosteronspiegel bei 0,x. Nun gibt es Fälle, wo der Körper durch die Hormonzufuhr rebelliert, nur noch ein Abbruch hilft. An mir ist dieser Kelch vorübergegangen, der Mann in mir sanft entschlafen.

Der Wechsel in eine andere Hormonwelt wirkt sich auf den ganzen Körper aus. Der Hoden wird kleiner, des Mannes bester Freund schlummert gerne (dominierender Sex war gestern), Zunahme der weiblichen Brust und es zeichnen sich nette Rundungen ab, wo ich dann denke: Aber bitte nicht an den falschen Stellen. Die Gesichtszüge werden weicher und auch der Haarwuchs an den Beinen eher flaumiger. Heute kann ich locker eine Woche zwischen zwei Beinrasuren verstreichen lassen. Nun war ich sowieso eher der feminine Typ ohne großartigen Haarwuchs, sei’s an den Armen oder auf der Brust. Im Gesicht muss allerdings Hand angelegt werden.

Eine Nebenwirkung der Hormonbehandlung: Die männliche Kraft schwindet. Konnte ich letztes Jahr noch mein Fahrrad die Treppen der Eisenbahnbrücke hochtragen, um auf die andere Seite des Mains zu kommen (Frankfurt Luderbach/Druckwasserwerk), so ist das heute nur mit viel Pause möglich. In einem Durchgang ist da nichts zu wollen. Das ist so in etwa das, was in mir ein Hormonwechsel körperlich auslöst(e). Jetzt ist da noch die Psyche.

Das Zusammenspiel von Hormonen und Psyche

Hormone für den falschen Körper
Hormone für die Transfrau: Blau (Estrifam) für die Frau, weiß killt den Mann (Androcur)

Die Psyche ist meines Erachtens ein nicht zu unterschätzender Bereich, auf den die Hormone Auswirkungen haben. Ein ganz großes Thema sind Depressionen. Hier kommen aber viele Dinge zusammen. In meinem Trans*Umfeld, wo die Transition ab- oder unterbrochen wurde, hat sich in einem Gespräch oft gezeigt, dass im Umfeld etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Das belastet natürlich die Menschen, und sie können den eventuell auftretenden Störungen, ausgelöst durch die Hormone, nicht so entgegentreten, wie nötig wäre. Aus einem lauen Lüftchen wird ein Sturm. Von einer Gelassenheit kann dann nicht mehr die Rede sein. Und deswegen ist auch eine therapeutische Begleitung wichtig, die hilft Momente zu verarbeiten, den Weg aus einer Sackgasse zu finden, der sich so nicht aufzeigt. Ich schreibe das nicht nieder, weil ich es gelesen, sondern an mir selbst erlebt habe.

Ist so weit alles in Ordnung, zeigt sich in etwa sowie hier hier niedergeschrieben, können sich die Östrogene ohne große psychische Nebenwirkungen entfalten. Eine Eigenschaft, die sich schon nach wenigen Monaten herauskristallisiert, ist die weibliche Gelassenheit. Von anderer Stelle (Gutachterin) wird angemerkt, dass dies auch die weibliche Trägheit ist. Ob so oder so, oder in Kombination, Mann wird ruhiger, da nun Frau.

Kürzlich habe ich zwei Fälle erlebt, wo ich mich nur fragte: Warum regst du dich nicht auf, haust auf’n Tisch?

 … den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann

Menschlich bin ich enttäuscht worden. Ändern kann ich es nicht und Aufregen bringt nichts, höchstens die Hormone durcheinander (siehe Autofahrer, die einem Ereignis hinterher hupen). In einer anderen Zeit hätte nicht nur der Regenbogen gebrannt … Die weibliche Gelassenheit lässt den Regenbogen für andere aber weiter im Glanz erstrahlen.

Solche Begegnungen bedeuten jetzt nicht, sich dem Schicksal mit dem Gefahrenpunkt einer schleichenden Depression zu ergeben, sondern sie lösen eine andere Handlung aus. Analytisch das Resümee aus den Fakten ziehen und mit dem Fazit Tschüss und weg (flapsig ausgedrückt) die Bühne verlassen. Alles andere hat kein Wert – in diesem Fall. Und ich weiß, die Tage sind nicht fern, wo man an mich denkt. Manche Dinge kann man aber nicht ändern, wenn z. B. die Familie mit im Spiel ist oder man mit einer sozialen Verantwortung durch das Leben geht.

Ich persönlich finde es sehr, sehr angenehm, mit der weiblichen Gelassenheit den Tag zu durchleben. So ein bisschen davon würde der männlichen Welt nicht schaden. Das würde der ganzen Menschheit guttun. Aber wo das eine ist, ist das andere nicht weit: Sensibilität (das Haus nah am Wasser gebaut). Aber davon irgendwann mal.


Beitragsbild pxhere

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