Sag den Schublade ade!
Den Schubladen den Kampf ansagen, denn „Vielfalt verpflichtet“, so das Motto des diesjährigen CSD in Darmstadt. In einer sehr emotionalen Rede vor ca. 2000 Besuchern berichtete Sonja über ihr Thema Trans*-sein. Es ist schon ein Aufschauen wert, welche Möglichkeiten in unserer Gesellschaft heute bestehen, und was queerer Mensch daraus macht(en kann), wenn es zugelassen wird. Dass dabei dem Schubladendenken Tür und Tor geöffnet wird, liegt auf der Hand.
Die Vielfalt in Schubladen
Auch beim Darmstädter CSD gab es hier und da ein paar Fragezeichen, die aus den Schubladen in den Köpfen entwichen …
Warum trägt junger Mensch, weiblich gelesen, als Umhang eine Nonbinary-Fahne, lässt sich aber durch Hormone einen Bart wachsen?
Trägt vielleicht zur Wegfindung bei.
Transmänner lassen sich in der Mehrzahl einen Bart wachsen. Das ist DAS äußerliche Merkmal, um als Mann gelesen zu werden. Anscheinend ist Mann nur mit Bart ein Mann. In der Regel klappt das mit dem Bart auch ganz gut und sie reifen zu den coolsten Männern der Welt heran. Transfrauen haben da ein etwas schwierigeres Los.
Der Bartschatten ist einer ihrer ständigen Begleiter. Manchmal kann die Epilation es richten. Aber, im fortgeschrittenem Alter verhindert so manches Testosterongestöber, was Jahrzehnte andauerte, die erstrebte Weiblichkeit. Da sind dann andere Maßnahmen gefragt. Doch was ist weiblich?
Die Definition des Seins
Was gilt als weiblich, was als männlich? Welches Bild nehme ich aus meinem angestammten Schubladenleben in das neue Leben mit?
Es beginnt eine andere Märchenstunde:
Der Transfrau/des Transmanns neue Kleider.
Andere Schublade, gleiches Dilemma, gleiche Zwänge?
Eine Mutter kam in meine Beratungsstunde und erzählte, ihr Sohn würde gar nicht so das „Frau sein“ verkörpern (mit allem, was damit einhergeht). Ihr Bild von einer Frau passt überhaupt nicht zu dem, was ihre (nun) Tochter zum Besten gibt. Sie denkt in alten Mustern. Ihre Tochter ist scheinbar in einer „anderen weiblichen“ Welt unterwegs, mit der die Mutter (noch) nicht zurechtkommt.
Kopfsache
Trans* wird oft mit dem verbunden, was schwule Männer in Frauenkleidern als Dragqueen verkörpern, was einen CSD dominiert, und was liebend gerne die AfD für ihre Kampagnen aufgreift. Und es wird alles von einem CSD-Orga-Team getan, damit das auch so bleibt – Vielfalt hin oder her. Rühmliche Ausnahme war Sonja mit ihrer Rede auf dem CSD in Darmstadt. Naturtrüb, so wie die Schöpfung sie geformt hat. Ehrlich, und voller Wärme. Und Sonja pflegt IHR Bild von einer Frau. Und das, das ist erfrischend anders. Danke Darmstadt, danke Sonja.
Wenn Trans* sich definieren, gehen zig Schubladen auf, kommt nicht nur das Pasing ins Spiel, steht auch der Alltagstest im Raum, der aber nicht mehr verpflichtend ist. Trotzdem gibt es noch genug Fallstricke, die Politik, Gesellschaft, Krankenkasse und der medizinische Dienst bereithalten, damit es ja nicht zu einfach wird.
Natürlich haben wir alle unsere Schubladen im Kopf. Aber manchmal ist es zu viel des Guten. Und wenn wir es uns dann selbst unnötig schwer machen, dann ist uns auch nicht mehr zu helfen.
»FLINTA¹«, ein Hinweisschild u. a. bei Veranstaltungen, ist so eine Dolle-Bosse-Schublade-Geschichte der „ach so queeren Fem/FLINTA-Abteilungen“ im Lande.
Sind damit nur weiblich gelesene “INTA gemeint, oder auch männliche, und was würden weiblich gelesene FL dazu sagen, wenn männlich gelesenes “ANT” vor der Türe steht?
Aber, so ein Hinweis, das sind doch Räume, in denen Cis-Männer außen vor sind.
Soll männlich gelesenes Wesen ein Gutachten vorher vorlegen, sich gar ausziehen oder einen Gesinnungscheck mit Leumund machen?
Mit solchen Geschichten erreichen wir niemanden, sind auch nicht besser als jene, die Trans* das TSG als Lebenshilfe gestrickt haben … und damit holen schon gar niemanden ab (Hinweis in Richtung Podiumsdiskussion in DA).
Ich habe bei Veranstaltungen im Sommer gespürt, dass wir mit dieser Art Handreichungen nicht die Menschen erreichen, die wir erreichen müssten. So bleibt im ländlichen Raum die Bereitschaft gering, den Schubladen Ade zu sagen, um sich der Vielfalt zu öffnen. Und wenn man ständig mit der Diskriminierungs-/Rassismuskeule und zig Forderungen (Pronomen etc.) unterwegs ist, ist es sowieso(so) vorbei. Besser in kleinen Schritten auf die Menschen zugehen, ihnen Zeit geben und auch mal fünfe grade sein lassen.
Vielfalt verpflichtet
Diese Forderung gilt für Politik, Wirtschaft und erst recht für die queere Community, die es so nicht gibt.
Einmal im Jahr die Regenbogenfahne hissen, an einer Podiumsdiskussion teilnehmen, ohne die inhaltliche Aussage zu verinnerlichen, ist kein Aufschauen wert. Damit ist es nicht getan.
Damit kann man dem Schubladendenken in der Gesellschaft nicht begegnen. Und wenn, wie in der Nachbarschaft, das Engagement nicht über Lippenbekenntnisse hinausgeht, dann besser den Farbeimer stehen lassen. Aber wie das so ist:
Sich gut zu Tisch reden, kann „queeres“ Volk auch, nicht nur die Politik.
Überwindung der binären Geschlechterordnung: Postgender
Warum nicht das Preußentum abschaffen, somit dem Geschlechterkrampf, nicht nur in den Verwaltungen, die Rote Karte auf Lebenszeit zeigen? Brauchen wir für eine etwaige Mobilmachung noch das (m)Geschlecht? Warum kategorisieren wir überhaupt Menschen nach biologischen Merkmalen? Um die medizinischen Untersuchungen patientenorientiert anzuwenden? Wenn dem nur so wäre …
Und an die queere Community gerichtet: Warum brauchen wir ein queeres Lexikon, um alle Befindlichkeiten² in „unserer“ Community aufzulisten? Wir, die unermüdlich das Diversity-Schild hochhalten, verfallen ständig in alte Denkmuster.
Und wenn wir schon gendern wollen, dann bitte so, dass alle damit klarkommen, und nicht mit drei verschiedenen Schreibweisen zum Abschalten nötigen.
Empfehlung: Erst einmal sich auf eine Schreibweise einigen! Noch mehr Pronomen für Mann, Frau, Inter*, Trans* und Mensch erfinden, damit der Vielfalt gerecht wird? Wie viele Welt-Sprachen brauchen wir, um er, sie, es, ihr, sie, ihm … auszudrücken?
Aneignung einer fremden Kultur anprangern, aber dann deren Sprache nehmen … ?
Ganz große Kunst.
Ganz große Kunst. Wir sollten versuchen, die Menschen mitzunehmen, anstatt sie ständig vor den Kopf zu stoßen.
„Ette“ reicht, sagt man anderswo im weiten Rund. Des gäbe aber „arsche Ärscher“, so meine Denke. Aber hinter Frankfurt sagt man gerne:
„’s Anika hat wieder …“.
Funktioniert auch mit dem Deadname.
- »FLINTA¹« = Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinär, Transgender, Agender
- Schubladen auf:
- F = Frauen (cis)
- L = Lesben (Außerirdische Wesen)
- I = Menschen mit einer Variante in der Geschlechtsentwicklung (wichtig für § 45b)
- N = Menschen ohne eine binäre Geschlechtsidentität (/me gehört dazu)
- T = In der Regel Menschen mit einer Transidentität. Die Transition beginnt aber mit dem Verlassen der binären Geschlechterordnung. Dazu zählen aber nicht die Dragqueens, wie z.B. Bäppi, Frankfurter SPD-Stadtverordnete im Römer.
- A = gehört zur nichtbinären Geschlechtsidentität, ist eine Unterordnung (für den IDAHOBIT in Frankfurt und anderswo ganz wichtig. Bei IDAHOBALTI in Baden-Württemberg (Heidelberg) muss ich mich allerdings ausklinken. Zu viel Heidschi Bumbeidschi.
² = Die queere Community hat derzeit sechsmal mehr Flaggen (Pride-Flags) als Deutschland Bundesländer hat. Kennt jemand alle Hauptstädte, die Flaggen der Bundesländer?
Ich kriegs nicht hin.
Beitragsbild: geralt / pixabay
Geschlechterkrampf: Nach einer Vorlage des Städel-Museum »Geschlechter-Kampf« verändert / hat erheblich zu meiner Wegfindung beigetragen